Waschen, schneiden, Seelen trösten

FOTOS: Sebastian Rothe
FOTOS: Sebastian Rothe

(InDOpendent) Die Pinkelrinne gehört bei "Kinkys" genau so zum Alltag wie der Haarschnitt im Freien. Der Frisörsalon im Dortmunder Westpark war schließlich einmal ein Klohaus.
 
Frisörmeisterin Mareike Berra nimmt die schulterlangen Haare der Kundin am Hinterkopf zusammen und legt den Kopf sanft zum Waschen ab - auf den Rand eines Bidets. Das Becken, das wie ein übergroßer Schnabel aus Porzellan aussieht, erinnert daran, dass das kleine Haus, in dem sich der Salon "Kinkys" befindet, als öffentliche Bedürfnisanstalt Karriere gemacht hat.

Mareike arbeitet seit einem halben Jahr in dem ungewöhnlichen "Salon im Klohaus" wie viele Nachbarn das Geschäft an der Rittershausstraße nennen. Stühle aus den 50er Jahren, kleine Buddhafiguren in den Ecken, eine blau durchleuchtete Theke - abgesehen von diesen Farbklecksen wirkt der in gedecktem Weiß gestrichene Raum zurückhaltend.

Goldfische in der Pinkelrinne

Eine alte Abflussrinne der Herrentoiletten ist zum Aquarium umgebaut worden. Doch vor unangenehmen Altlasten braucht sich niemand zu fürchten. Es riecht weder nach Toilettenhäuschen, noch nach aufdringlichen Shampoos oder Sprays. Durch die weit geöffneten Türen strömt frische Luft aus dem Westpark herein. "Wenn das Wetter besser ist als heute, schneiden wir sogar draußen im Park die Haare - nur windstill muss es sein", sagt Mareike.

FOTOS: Sebastian Rothe
FOTOS: Sebastian Rothe

Die 24-jährige testet mit der Hand die Wassertemperatur und lässt den sanften Strahl dann über die mit Farbe eingeschmierten Haare der Kundin fließen. Das Wasser färbt sich dunkel. Ein Schokoladenbraun soll die Haare zum Glänzen bringen. Mareike verteilt Shampoo in beiden Händen und massiert damit die Kopfhaut der Kundin. Im Hintergrund dudelt sanfte Chillout-Musik.
 
Ihre Kunden kämen genau deswegen hierher, sagt Mareike: "Die Stimmung, die Ruhe. Der Besuch beim Frisör wird zur Flucht aus dem Alltag. Die Frisur wird nebenbei gemacht." Natürlich dürfte sie dabei ihren Job nicht aus dem Blick verlieren. Der Kunde solle schließlich kompetent und ehrlich beraten werden. Darauf legt Frank Griewel, Mareikes Chef, ebenso großen Wert, wie auf das außergewöhnliche Ambiente. Der Dortmunder betrachtet das renovierte Toilettenhaus, das er vor zwei Jahren der Stadt abkaufte, schließlich als sein Lebenswerk.

Platte Nasen an den Scheiben

Beim Auswaschen des Shampoos erzählt Mareike von den Fingerabdrücken und Fettflecken außen an den Fenstern: "Nach jedem Wochenende kann man die Scheiben putzen, weil die Leute ihre Nasen platt drücken und schauen, was hier drin ist."

Nach der dritten Haarwäsche bleibt das Wasser im Bidet klar. Mit einem Handtuch um den Kopf steigt die Kundin von der Liege, die auf dem Podest vor dem Bidet steht. Vor dem Spiegel zeigt Mareike ihr den Schnitt an ihren eigenene Haaren: Ein kleiner Pony über der Stirn rundet das Gesicht ab, im Nacken sind die Haare zu einem kleinen Zopf gebunden. Locker und fransig soll es aussehen. Mareike setzt mit ihrer Schere zum Haarschnitt an. Die Klingen schneiden nur knapp über ihre schlanken Finger, die Haut zeigt keine Schnittwunden.

Seelenklempner mit Schere in der Hand

FOTOS: Sebastian Rothe
FOTOS: Sebastian Rothe

Beim Haare schneiden lernt man sich kennen. "Wo hast du denn die Tasche her?", fragt Mareike. Die Kundin sieht es als Kompliment und nennt den Kauf einen wahren Glücksfall. Schnell finden die beiden Frauen ins Gespräch und unterhalten sich über Themen wie Familie, Beruf, Träume, Wünsche und Hoffnungen. Mareike hört viel. " Es wundert mich manchmal, was die dir alles erzählen. Und wie offen sie dann sind", sagt sie über ihre Kunden. Menschen redeten befreitet, wenn eine gewisse Anonymität herrsche. Der Frisör sei auch heute noch ein Seelenklempner, "Mehr als je zuvor", sagt Mareike mit einem Blick über ihre viereckige Brille, deren Bügel in schwarz und weiß gehalten sind.
 
Nach dem Fönen und Stylen verlässt die Kundin den Salon mit den Worten: "Bis zum nächstem mal!" Mareike scheut ihr durch die Tür hinterher. "Wir machen hier keine neuen Menschen, aber ich denke, dass wir die Leute verändern oder ihnen zumindest das Gefühl geben, jemand Neues zu sein", sagt die Frisörin. Sie freue sich einfach, wenn ihre Kunden zufrieden aus dem alten Klohaus schweben.